kraftplatz-Blog

An dieser Stelle teile ich einige meiner Erfahrungen und Gedanken über Trauer, Sterben und das Leben. Um zu informieren, inspirieren und vor allem zu enttabuisieren. Ich freue mich, wenn Du meine Beiträge kommentierst, teilst oder auch Wünsche für neue Themen einbringst. 

Alles Liebe

Petra 

2024-07-04

Abschied nehmen

Heute möchte ich auf ein Thema aufmerksam machen, das für die meisten von uns alles andere als leicht ist: Abschied nehmen. Weil es nicht egal ist, ob und wie man sich von einem geliebten Menschen verabschiedet, teile ich gerne meine persönlichen und fachlichen Erfahrungen dazu.
 
Viel Freude beim Lesen!

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Der letzte Besuch

Egal, ob man die krebskranke Freundin das letzte Mal besucht, weil man weiss, dass die Kräfte langsam nachlassen oder ob man am Bett seiner Mama den letzten Atemzug miterlebt – Abschied nehmen ist schmerzhaft, hart und emotional. Hierbei können unterschiedliche Gefühle und Bedürfnisse entstehen.
Neben dem Schwelgen in schönen Erinnerungen, dem letzten gemeinsamen Foto, der letzten Berührung, Umarmung oder dem letzten Kuss, können auch „unangenehme“ Themen aufkommen. Sei es das Besprechen der Beerdigung/Beisetzung oder auch Unausgesprochenes, das noch aus der Welt geschafft werden will. Das kann Wut sein – über die Situation. Oder Wut auf die sterbende Person - weil sie einen zurücklässt oder Fehler gemacht und verletzt hat.

Aber sollte es am Sterbebett nicht harmonisch und friedlich zugehen? Ja und nein.

Natürlich wünschen wir Sterbenden ein leichtes, friedvolles Gehen. Nur, wie geht das überhaupt? Kann man sterben, wenn noch Streitigkeiten im Raum stehen, der Besuch eines Herzensmenschen noch aussteht oder sonst irgendetwas die Seele belastet? Und darf ich vor dem Menschen, der bald gehen muss, weinen und zeigen, dass ich ihn vermissen werde? Oder mache es ihm damit noch schwerer?

In meinen Augen ist es bedeutsam, dass vor der grossen Reise noch alles bereinigt wird, was wichtig erscheint. Allerdings ist damit nicht gemeint, dass Sterbenden zuliebe Frieden geschlossen wird, obwohl noch Groll, Unverständnis oder sonstige starke Emotionen vorherrschen. Jedoch genügt manchmal ein letztes Gespräch, in dem alles gesagt werden darf, was noch zu sagen ist, um anzunehmen – was war und was kommen wird.
Manchmal sind beide Seiten hierzu selbst in den letzten Stunden nicht bereit. Auch das ist in Ordnung. Nur sollte dieser Entschluss nicht leichtfertig getroffen werden, weil der Tod nun mal endgültig ist.

Darf ich am Sterbebett weinen?

Ja, es darf geweint werden! Tränen sind befreiend, reinigend und zeigen, wie wichtig das Gegenüber für einen ist. Selbst wenn keine Tränen fliessen, spürt die sterbende Person sehr gut, was für eine Stimmung im Raum herrscht. Ehrlichkeit empfinde ich als sehr wertschätzend und vor allem in den letzten Stunden als unabdingbar.

Warum fällt manchen Menschen das Sterben trotzdem schwer, obwohl sie mit ihrem bevorstehenden Lebensende im Reinen sind? Ein Grund kann sein, dass die Liebsten sie noch zu sehr festhalten. Natürlich möchte sich niemand von seiner Mama, seinem Papa, der Partner/-in oder seinem Kind für immer trennen. Nicht selten brauchen Sterbende jedoch diese Erlaubnis, um friedvoll einschlafen zu können. Wie bereits erwähnt, dürfen dabei trotzdem Gefühle gezeigt werden. 

An diesem Punkt des Sterbeprozesses ist eine Verständigung mit Worten oft nicht mehr möglich. Es gibt allerdings ein paar Anzeichen dafür, dass der Übertritt ins Jenseits Schwierigkeiten bereitet:

o unruhiges Verhalten
o Zupfen an der Bettwäsche oder den Kleidern
o Hin- und Herwälzen
o Versuche des Aufstehens

Hier kann auch die plötzliche Angst vor dem Ungewissen eine Rolle spielen. Allerdings lohnt es sich als Angehörige immer, die eigene Haltung zum Sterbewunsch der/des Betroffenen zu reflektieren. Häufig finden Sterbende Ruhe, sobald sie hören, dass sie loslassen dürfen und die Hinterbliebenen zurechtkommen. Auch gewisse Aromaöle, Massagen, Akupressur, leise Musik, Gesang oder Vorlesen, können erdend, angstlösend und unterstützend wirken.

Bewusster Abschied

Für einen bewussten Abschied können Anregungen von Fachpersonen oder Aussenstehenden sehr wertvoll sein, weil in der Regel eine starke Überforderung mit dieser Ausnahmesituation besteht. Als mir von einem Kaiserschnitt abgeraten wurde und ich meinen toten Sohn auf „natürlichem“ Weg gebären sollte, konnte ich noch nicht erahnen, wie wichtig dieser Geburtsprozess für meine Trauerverarbeitung und das Realisieren meines Verlustes sein würde. Zum Glück nahm ich diesen zunächst unvorstellbaren Rat an, denn ich hätte mir keine friedlichere und schönere, stille Geburt wünschen können.

Ähnlich erging es mir, als meine Mama in meinem Beisein starb. Für mich war dieser berührende Moment DER Abschied und trotzdem bin ich sehr froh, dass ich mich meiner Familie beim letzten Besuch im Krematorium doch noch angeschlossen hatte. Ihre Gesichtszüge waren etwas verändert, aber dennoch entspannt und sehr friedlich. Es war bereichernd und prägend, meine Mama ein allerletztes Mal so zu sehen, sie zu berühren und dabei wahrzunehmen, dass ihre Körperwärme gewichen und ihre Seele auf dem Weg war.

Der Anblick des Todes

Viele Menschen scheuen den Anblick von Toten und möchten vor allem Kinder davor bewahren. Aber vor was genau? Ich hatte damals Angst und war unsicher, wie unser Sohn Manuel aussehen würde. Es war sehr hilfreich für mich, dass das Spitalpersonal mir beschrieb, was mich erwarten könnte. Auch Kindern kann erklärt werden, dass der/die Verstorbene z. B. mit geschlossenen Augen in einem Sarg liegt, sich kalt anfühlen wird, die Fingernägel bläulich verfärbt sein werden, sie aber die Person anfassen oder umarmen dürfen.

Selbstverständlich muss jeder selbst entscheiden, wie der letzte Abschied verlaufen soll. Ob dieser persönlich oder vielleicht nur gedanklich stattfindet. Wichtig ist, dass vor allem Kindern, dieser nicht verwehrt wird, weil damit eine Lücke im Begreifen und Verarbeiten des Todes entstehen kann. Gerade im Kindesalter gibt es weniger Berührungsängste und Unwohlsein mit dem Tod, als bei uns Erwachsenen. Kinder können in den Abschiedsprozess einbezogen werden, in dem sie z. B. den Sarg oder die Urne bemalen, ein selbstgemachtes Geschenk beilegen oder ein letztes Ständchen auf der Blockflöte spielen dürfen. Hier sind der Fantasie keinerlei Grenzen gesetzt. Alles darf sein.

Fehlender Abschied

Leider ist ein Abschied nicht immer möglich. Sei es, weil ein Leichnam nie gefunden wurde, die verstorbene Person stark entstellt war und angeraten wurde, sie lieber in „guter“ Erinnerung zu behalten oder weil Eltern ihr Baby nach einer frühen Fehlgeburt nie zu Gesicht bekamen. Das kann ein Leben lang belastend sein. Deshalb sollte diese Entscheidung niemals von jemand anderem getroffen werden. Auch nicht aus vermeintlichem Schutz.

Selbst nach schweren Unfällen oder Suizid, kann es für Eltern von enormer Bedeutung sein, ihr Kind nochmals zu sehen oder zumindest die Hand zu halten, auch wenn der Rest des Körpers abgedeckt bleibt. In solchen Fällen sollte eine achtsame und einfühlsame Begleitung unbedingt gewährleistet sein.
Aber was hilft denn, wenn dieser letzte Schritt fehlt und die Hinterbliebenen damit nur schwer leben können?

Ich mache hier immer wieder sehr gute Erfahrungen mit Fantasiereisen oder Ritualen, um nochmals eine intensive Verbindung zu den Verstorbenen aufzunehmen und alles auszusprechen, niederzuschreiben oder in Gedanken zu formulieren, was mit auf den Weg gehen darf. Symbole, Gegenstände und die Natur (Wasser, Feuer, Luft, Pflanzen, Sand, Steine usw.) bieten hier schöne Möglichkeiten. 

Allein sterben?

Wie schön, wenn geklärt ist, ob Sterbende in ihren letzten Minuten auf Erden für sich sein möchten oder lieber im Beisein ihrer Liebsten. Leider wird darüber sehr selten gesprochen. Warum eigentlich? Angehörige hadern darum oft mit ihrem Verhalten. Auch mir ging es beim Tod meiner Mama so. Hätte ich noch eine Minute warten sollen, bevor ich von der Toilette wieder zurück ins Zimmer kam? 
Mit etwas Abstand bin ich davon überzeugt, dass es so passiert, wie es sein soll. Deshalb sterben manche Menschen z. B. genau dann, wenn der Partner, der schon die halbe Nacht an ihrem Bett verbrachte, sich kurz einen Kaffee holt oder eben erst dann, wenn der Sohn nach einer durchgefahrenen Nacht aus dem Ausland endlich bei seinem Papa ankommt.

In diesem Sinne, wünsche ich allen Sterbenden, dass sie selbstbestimmt, würdevoll und friedlich gehen dürfen. Gleichzeitig möchte ich alle Angehörigen ermutigen, sich bei Berührungsängsten oder Unsicherheiten unterstützen zu lassen, um einen stimmigen Abschied mit ihrem Herzensmenschen zu erleben. Weil es nicht egal ist, wie wir oder unsere Lieben diese Erde verlassen…

Alles Liebe
Petra

Admin - 14:45:04 @ Allgemein, Sterben, Trauer | Kommentar hinzufügen