kraftplatz-Blog

An dieser Stelle teile ich einige meiner Erfahrungen und Gedanken über Trauer, Sterben und das Leben. Um zu informieren, inspirieren und vor allem zu enttabuisieren. Ich freue mich, wenn Du meine Beiträge kommentierst, teilst oder auch Wünsche für neue Themen einbringst. 

Alles Liebe

Petra 

2024-07-21

Veränderung

Und plötzlich ist alles anders. Der Alltag, die ganze Lebenseinstellung, Gefühle und vielleicht sogar man selbst. Ist das etwas Schlechtes? Manche Menschen können schwer damit umgehen, dass Trauernde zwischen «davor» und «danach» unterscheiden und nicht mehr dieselben sind wie bisher. In meinem heutigen Beitrag geht es um Veränderung. Denn alles verändert sich – immer wieder. Ob wir es wollen oder nicht…

Viel Freude beim Lesen und vielleicht magst Du Deine Veränderungen nach Deinem Verlust ja hier teilen!

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Neuorientierung

Häufig findet nach einem Verlust eine Neuorientierung statt. Schliesslich muss das Leben ja irgendwie weiter gehen, oder? Aber muss es so bleiben, wie vorher, nur ohne die Verstorbenen? Nein, denn es ist nicht mehr dasselbe Leben. Trotzdem muss sich nicht alles um 180 Grad drehen – tut es aber oft.
Wird Trauer bewusst zugelassen und durchlebt, steht fast immer das komplette Sein auf dem Prüfstand.

«Macht mich mein Job glücklich?», «Was sind meine Wünsche und Träume?», «Was zeichnet mich aus?» und vor allem «Wer bin ich ohne die verstorbene Person?».

Das Umfeld reagiert auf einen Todesfall sehr unterschiedlich. Freunde, die sonst immer für einen da waren, sind es vielleicht auf einmal nicht mehr. Lockere Bekanntschaften können sich plötzlich zu wichtigen Vertrauten entwickeln. Nicht selten verändert sich der innere Kreis von Trauernden. Eventuell, weil es nun doch eine Rolle spielt, dass die beste Freundin ganz anders mit Herausforderungen umgeht oder die Lebenseinstellungen sich komplett unterscheiden. Oder weil das gegenseitige Verständnis und die Verbundenheit schwinden. Niemand kann erahnen, wie er mit einem Verlust umgehen wird. Darum können Aussenstehende gewisse Verhaltensweisen manchmal nicht nachvollziehen oder sind überfordert damit. Es ist schade, wenn Freundschaften zerbrechen und gleichzeitig sind Veränderungen etwas Natürliches und in gewissen Situationen nötig.

Stirbt das eigene Kind oder der/die Partner-/in, sterben nicht selten auch Zukunftspläne, gemeinsame Träume und Hoffnungen. In diesem tiefen Schmerz finden Hinterbliebene im besten Fall den Weg zu sich selbst, zu ihren Bedürfnissen und zu ihrer Intuition.

Danach

So furchtbar, kräftezehrend und kaum auszuhalten die Zeit nach einem Schicksalsschlag sein mag – trotzdem entwickelt sich etwas Neues. Etwas «danach». Auch wenn wir uns dagegen sträuben oder nichts aktiv dafür tun. Es passiert einfach. Darum ist es in meinen Augen so wichtig, wie wir mit Trauer umgehen. Lassen wir sie zu oder verdrängen wir sie? Geben wir dem neuen Leben eine Chance oder lassen wir Verbitterung einkehren?

Damit meine ich nicht, dass Wut, Hadern mit dem Schicksal, Unverständnis, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit keinen Platz haben dürfen. Ganz im Gegenteil! All diese Emotionen sind wichtig für einen gesunden Trauerprozess und dürfen auch nach Jahren immer wieder einmal da sein. Für mich ist jedoch die Grundhaltung entscheidend.

Kann eine Mutter den Tod ihres Babys irgendwann als Teil ihrer Lebensgeschichte annehmen, obwohl es unbegreiflich, schrecklich und ungerecht ist?

Kann ein Witwer seine zwei Kleinkinder positiv durch ihr Leben begleiten, obwohl sie ohne Mama aufwachsen und er seine grosse Liebe verloren hat?

Kann eine Frau ihre letzten 20 Jahre geniessen, obwohl ihr geliebter Ehemann verstorben ist?

Oder versinkt die Mutter, deren Sohn viel zu früh ums Leben kam, im Alkohol?

Wird der Vater nie über den Suizid seiner Tochter hinwegkommen, weil ihn Schuldgefühle plagen?

Oder verbittert der Ehemann, weil seine Frau beim Autounfall verstarb, er aber überlebte?

Alles kann sein. Alles darf sein. Und wir sollten darüber nicht werten!

Weiterleben

Damit irgendwann wieder Lichtblicke zum Vorschein kommen, braucht es Geduld, bewusstes Trauern und manchmal Unterstützung. Um Frieden zu schliessen - mit dem, was war, was ist und was sein wird. Das bedeutet nicht, dass wir mit der Situation einverstanden sind. Aber wir können sie nicht ändern, sondern nur lernen, damit zu leben. So schwer es auch sein mag.

Nur wie geht denn Weiterleben nach einem schmerzhaften Verlust? In kleinen Schritten, von Tag zu Tag. Ohne grosse Erwartungen und Druck. Einatmen, ausatmen. Vertrauen, dass wir nicht daran zerbrechen - es überleben. Offen sein, für alles, was kommen mag und Emotionen annehmen, wie sie gerade sind. Hoffen, dass es irgendwann leichter wird.

Plötzlich ergeben sich neue Bekanntschaften, es werden Interessen geweckt und Fähigkeiten entdeckt, sich neu begegnet. Viele Menschen gehen gestärkt aus einem intensiven Trauerprozess hervor. Sie sind häufig mutiger, gewisse Bedenken verlieren an Bedeutung. Was soll noch Schlimmeres passieren? Beispielsweise verfliegt die Angst, den gut bezahlten, aber unbefriedigenden Job zu kündigen oder die Hemmung «in dem Alter» noch ein Studium zu beginnen. Auch ein Umzug in eine neue Stadt, auf’s Land oder das Antreten der langersehnten Weltreise können den Beginn in das Leben «danach» erleichtern und bereichern.

Es kann eine Chance sein, alte Verhaltensmuster zu durchbrechen, neue Routinen einzuführen, intuitiv zu leben und zu erkennen, was einem wirklich wichtig ist und glücklich macht. Was entzieht Lebensenergie und was füllt die Energiespeicher im Alltag auf? Mit wem möchten wir uns umgeben? Eigentlich schade, dass es oft zuerst einen Schicksalsschlag braucht, um sich vor Augen zu führen, wie wertvoll und endlich unsere Zeit hier auf Erden ist. Manchmal verleiht einem erst die Trauer die Erlaubnis, auszubrechen, sein wahres Ich zu zeigen und auf sich zu achten. Wann, wenn nicht jetzt? Nur, wie bewahren wir uns diese Achtsamkeit und den Mut, das Leben individuell, unkonventionell und vielleicht gegen den Strom zu leben? Mir hilft dabei eine Aufgabe, die mir in meiner Ausbildung zur Sterbe- und Trauerbegleiterin gestellt wurde:

«Stell dir vor, du wärst auf deiner eigenen Beerdigung. Was würdest du gerne über dich und dein Leben hören?»

Hmmm… Sicher nicht, dass mein Haushalt perfekt und ich angepasst, aufopfernd und regelkonform war. Sondern, dass ich eine liebevolle Mama war, die Zeit mit meinen Kindern geniessen konnte, das Herz am rechten Fleck hatte, positiv, ehrlich und mit Freude durch`s Leben ging, Menschen berührte, für meine Überzeugungen einstand und mir selbst treu blieb.

Es können alltägliche Veränderungen sein, wie allein in einem Restaurant Essen zu gehen, einen Yoga-Kurs zu belegen oder eine neue Sprache zu lernen, die das Gefühl vermitteln, wieder bei sich zu sein. Aber auch die Erkenntnis, dass wir zufrieden sind, wie es ist, kann den inneren Frieden wieder herstellen. Selbst wenn wir die verstorbene Person für immer vermissen.

In diesem Sinne wünsche ich allen Trauernden den Mut, sich auf die Reise zu ihrem Innersten zu machen und Schritt für Schritt ihren neuen Lebensweg zu gehen. Wo immer er auch hinführen mag…

Alles Liebe

Petra

Admin - 23:20:03 @ Allgemein, Trauer | 2 Kommentare